Das verschmähte Geschenk

  - inspiriert von den türkischen Erzählungen der Baronin von Kamphoevener -  

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    Da war ein jun­ger Mann, ein klu­ger jun­ger Mann. Schön war er auch. Nur reich war er nicht, aber wir wis­sen ja, daß es das nicht gibt, jung, schön, klug und reich... Darf es auch nicht ge­ben. Der Va­ter des jun­gen Man­nes hat­te ihn zu ei­nem Mann er­zie­hen wol­len, und das be­deu­te­te, daß er Zärt­lich­keit kaum kann­te, und nicht ge­lernt hatte, zu wei­nen. Trä­nen kann­te er als er­pres­se­ri­sche Dar­bie­tun­gen sei­ner Mut­ter, wenn sie beim Va­ter ih­ren Wil­len durch­set­zen woll­te. Er hat­te nur we­ni­ge Freun­de, weil er klug und schön war, und die, wel­che glei­chen Al­ters wa­ren wie er, sa­hen ihn als Ge­fahr für ih­re ei­ge­nen Plä­ne - wann immer sie konn­ten, be­schä­dig­ten sie mit Wor­ten und Bos­hei­ten sein Selbst­wert­ge­fühl, re­de­ten ihm ein, daß ihn kei­ne Frau be­geh­ren könn­te. Der jun­ge Mann such­te die An­er­ken­nung sei­ner Ka­me­ra­den, und er glaub­te ih­nen. Sei­ne Schwe­ster, die es an­ders wuß­te, weil im­mer wie­der Mäd­chen sie frag­ten, wie sie seine Be­kannt­schaft ma­chen könn­ten, wies je­des der­ar­ti­ge An­sin­nen ab, denn sie war auf ih­ren klu­gen Bru­der ei­fer­süch­tig - wes­halb, konn­te er spä­ter, als er da­von er­fah­ren hat­te, nie­mals he­raus­fin­den.

    Es wäre wohl auch nichts da­bei he­raus­ge­kom­men, denn der jun­ge Mann be­nutz­te das fal­sche Par­füm. Er duf­tevte nach Freund­schaft, nach Sehn­sucht, nach Zärt­lich­keit, und nicht nach frisch­ge­druckt­en Geld­schei­nen, wie es zu al­len Zei­ten sehr in Mo­de war.

    Seine jün­ge­ren Brü­der wa­ren nicht bes­ser als sei­ne Ka­me­ra­den, aber sie hat­ten nur we­nig Macht, ihm zu scha­den, denn der Va­ter hat­te sei­nen äl­te­sten Sohn zum Nach­fol­ger aus­er­se­hen, und die Brü­der wa­ren zwar stark und schön, aber nicht klug...

    Der Knabe reif­te in ei­ner Zeit zum Mann he­ran, in der eine al­te Ord­nung zu En­de ging, in der die Ju­gend re­bel­lier­te und nach "freier Lie­be" rief, aber er be­kam da­von nur mit, daß er nichts da­von mit­be­kam.

    Die Erste, die an dem ab­schir­men­­den Netz der Schwester vor­­beischlüpf­te, und den Jüng­ling we­der ver­spot­te­te, noch ihn fal­len ließ wie eine hei­ße Kar­tof­fel, so­bald sie sei­nen Duft wahr­ge­nom­men hat­te, war nun lei­der eine, die zwar hübsch und ge­scheit, aber ge­ne­tisch un­ver­träg­lich war mit dem Pech­vo­gel. Er emp­fand ih­ren Duft als un­an­ge­nehm. Das ist ei­ne schlim­me Sa­che, denn da­ge­gen kann man nun gar nichts ma­chen. Und wie schwer war es, das dem ar­men Kind bei­zu­brin­gen (das si­cher an die Kör­per­pfle­ge mehr Zeit ver­wand­te als der jun­ge Mann)! Da war es nur gut, daß es nicht zu mehr ge­kom­men war als zu ziem­lich un­schul­di­gen Küs­sen.

    Vielleicht sollte der Ge­rech­tig­keit hal­ber ge­sagt wer­den, daß trotz sei­ner Klug­heit der schö­ne jun­ge Mann sich beim Um­gang mit dem an­de­ren Ge­schlecht aus­ge­spro­chen ein­fäl­tig an­stell­te. Wenn die Schö­ne, die er in der Schul­bank von der Sei­te an­schmach­te­te, ihn frag­te, ob er je­man­den wüß­te, der ihr Nach­hil­fe­un­ter­richt in Ma­the­ma­tik ge­ben könn­te, dann ver­mit­tel­te er ihr treu­doof --- einen Mit­schü­ler. Und als sie ihn von ih­rer Freun­din ein­la­den ließ, um bei de­ren Ge­burts­tags­fest mit ihm zu­sam­men zu sein, er­griff ihn Pa­nik, und er fuhr lie­ber mit sei­nem Sport­ve­rein zu ei­nem Schwimm­wett­kampf. Solche Dumm­hei­ten be­straft das Schick­sal al­ler­dings schnell und hart, in dem Schwimm­bad er­litt er ei­ne Ver­let­zung, die ihm sehr zu schaf­fen mach­te, und de­ren Nar­be ihn sein Le­ben lang an sei­ne Torheit er­in­ner­te.

    Er traf sie noch ab und zu, das letz­te Mal vor den Gebäu­den der Uni­ver­si­tät, als sie ihm trau­rig in die Au­gen sah und sag­te: „Ich geh weg aus Mün­chen, weil ich näch­ste Wo­che hei­rate. Wir wer­den uns wohl nicht wie­der­se­hen.“

    Da er heraus ­ge­fun­den hat­te, daß Mäd­chen das Lau­ten­spiel lieb­ten, er­lern­te er (denn er war mu­si­ka­lisch und hatte ge­schick­te Hän­de) das Spie­len die­ses In­stru­ments, und war da­rum, wenn sich die jun­gen Leu­te tra­fen, ein gern ge­se­he­ner Gast. Was er nicht be­dacht hatte, war, daß man beim Mu­si­zie­ren die Hän­de nicht frei hat, und wenn nun ei­nes der Mäd­chen ob seiner schö­nen Mu­sik das Be­dürf­nis hat­te, sich an je­man­den zu ku­scheln, erbot sich im­mer gern ei­ner der "Freun­de" des schö­nen jun­gen Man­nes... wenn der dann auf­hör­te, zu spie­len, waren die Mädels alle beschäftigt.

    Er hat­te auch ge­lernt, köst­li­che Spei­sen zu­zu­be­rei­ten, und lud ge­le­gent­lich zu einem Fest­mahl ein, aber auch da war er so in An­spruch ge­nom­men von sei­nen Pflich­ten als Gast­ge­ber, daß die von ihm ein­ge­la­de­nen Mäd­chen zwar des Lo­bes voll wa­ren ob sei­ner Koch­kün­ste, a­ber, auf­ge­lockert durch die ge­nos­se­nen Gau­men­freu­den, schon in den Ar­men der "Freunde" ge­lan­det wa­ren, bis der Koch aus der Kü­che auf­tauch­te.

    Auf den eigentlich na­he­lie­gen­den Ge­dan­ken, zu Mu­sik und Mahl ei­nen klei­ne­ren Kreis, näm­lich nur ei­ne Per­son, ein­zu­la­den, kam er erst sehr, sehr viel spä­ter. Viel­leicht hat­te er auch Angst, mit ei­nem Men­schen al­lein zu sein, der ihm et­was be­deu­te­te, Angst, et­was Fal­sches zu sa­gen oder zu tun, Angst vor ei­ner Zu­rück­wei­sung. Des­halb konn­te es wohl auch ge­sche­hen, daß er völ­lig hilf­los war, als er ein­mal ein ge­lie­he­nes Buch zu­rück­brach­te, die Ver­lei­he­rin al­lein an­traf, ein paar Wor­te mit ihr wech­sel­te, und sie plötz­lich von ei­nem Wein­krampf ü­ber­wäl­tigt sah. An­statt die Schluch­zen­de in den Arm zu neh­men, und ihr - und sich - zu hel­fen, stand er nur wie ge­lähmt da, und ließ den ma­gi­schen Au­gen­blick ver­ge­hen. Daß es ar­ro­gant ist, Zu­rück­wei­sung zu fürch­ten und nicht hin­neh­men zu wol­len, kam ihm dam­als nicht in den Sinn, und es soll­te noch lan­ge dau­ern, bis ihm die­se Er­kennt­nis däm­mer­te.

    Er selbst war übrigens mit Zu­rück­wei­sun­gen nicht zim­per­lich - nach­dem ihm ei­ne lan­ge von ihm ver­ehr­te jun­ge Frau klar ge­macht hat­te, daß sie nie­mals mehr als Freun­de sein könn­ten, sa­ er a­bends in sei­nem Stamm­lo­kal mit ein­er an­de­ren zu­sam­men und klag­te ihr sein Leid. Sie sprach ihm Trost zu, so gut sie konn­te, und mit ei­nem tie­fen Seuf­zer sag­te er vor sich hin "Ach, wenn ich Dich nicht hät­te..." Da sah sie ihn an und ant­wor­te­te ganz lei­se "Hättst' mich ja." Aber nahm er die­ses Ge­schenk an? Nein, er frag­te: "Willst Du ein Er­satz sein für je­ne? Willst Du zwei­te Wahl sein?" Und der klu­ge jun­ge Mann hielt die­se herz­lo­se Ab­fuhr für Ehr­lich­keit, war auch noch stolz da­rauf.

    Die näch­ste, mit der er mehr Wor­te wech­sel­te als "Hallo, wie spät ist es?", zeich­ne­te ihn da­durch aus, daß sie mit ihm ge­ra­de des­halb nicht in­tim wur­de, weil er so be­son­ders nett und sen­si­bel und gar nicht ober­fläch­lich sei und an­ders be­han­delt wer­den müß­te als al­le an­de­ren. Da fühl­te er sich so ge­ehrt, daß er ein Ma­gen­ge­schwür be­kam, und das kurz vor ei­ner lan­ge ge­plan­ten, gro­ßen Rei­se nach Spa­nien mit sei­nen Brü­dern und ei­ni­gen, die er für Freun­de hielt.

    Sie waren ein fröh­li­cher Hau­fen, und abends sa­ßen sie am Strand des Zelt­plat­zes, tran­ken Rot­wein und schlos­sen Be­kannt­schaf­ten mit an­de­ren jun­gen Leu­ten. Nur ei­ner trank kei­nen Rot­wein. We­gen sei­nes Ma­gens.

    Doch dann geschah das Wun­der: Eine sü­ße Rot­haa­rige pick­te ihn mit­ten aus den männ­li­chen, star­ken Kerls her­aus, nahm ihn bei der Hand, ging mit ihm zu sei­nem Zelt, hieß ihn, sei­nen Schlaf­sack zu neh­men, und führ­te ihn zu ei­ner na­he ge­le­ge­nen Bucht, die zu die­ser nächt­li­chen Stun­de voll­kom­men ein­sam war. Es war eine war­me, ster­nen­klare Nacht, sie be­rausch­ten sich, ver­lo­ren sich an­ein­an­der, bis sie schließ­lich be­küm­mert ge­stand: "Ich möcht' so gern mit Dir schla­fen, aber ich hab' Pil­len­pau­se. Bist Du mir jetzt bö­se?“ Doch dann hell­te sich ih­re Mie­ne auf, und sie flü­ster­te: „Weißt' was, ich mach's Dir mit dem Mund." Und der schö­ne, klu­ge jun­ge Mann? Der war so ent­täuscht, daß er nur mur­mel­te: "Nee, dan­ke, sehr lieb von Dir, aber das braucht's nicht."

    Ich sagte ja schon, daß er sich trotz sei­ner son­sti­gen Klug­heit manc­hmal nicht sehr hel­le an­stell­te.

    Sie tauschten Adres­sen aus, schrie­ben Brie­fe, und er be­kam so­gar Be­such von ihr. Sie stan­den eng an­ein­an­der­ge­preßt im Olym­pia­sta­dion und ju­bel­ten dem ein­lau­fen­den fal­schen Ma­ra­thon­sie­ger zu, abends tanz­ten sie sich atem­los in ei­ner Dis­co zwi­schen na­se­rümp­fen­den Teen­a­gern, und nachts trie­ben sie es im schma­len Bett sei­ner Stu­den­ten­bude, als ob der näch­ste Tag ab­ge­sagt wor­den wä­re. Die Pil­len­pau­se war vor­bei, und von bla­sen war nicht mehr die Re­de (Aber er durf­te als An­den­ken ei­ne Tri­cho­mo­na­den-­Kul­tur be­hal­ten, die er bei ihr ge­fun­den hat­te...). Sie lehr­te ihn, daß Sangria erst rich­tig schmeckt, wenn sie mit ei­nem Schuß Ma­rie Bri­zard ge­würzt wird, und daß Frau­en kei­ne ero­ge­nen Zo­nen ha­ben. Er zeig­te ihr sei­ne Stadt, und wo­zu ein sexu­ell aus­ge­hun­ger­ter, ge­sun­der 23-­Jäh­ri­ger fä­hig ist.

    Als sie nach drei Tagen wie­der ab­ge­reist war, er­wi­der­te er we­nig später auch den Be­such – und muß­te er­fah­ren, daß ei­ne so hell auf­lo­dern­de Flam­me nicht lan­ge bren­nen konn­te. In der Asche blieb nicht ein­mal ge­nug Wär­me für ei­ne Freund­schaft üb­rig. Er dich­te­te noch ein Sonett für sie, und schick­te ihr als Ge­burts­tags­ge­schenk ihre vier Vor­na­men in ja­pa­ni­scher Kal­­li­gra­phie, weil er von ih­rer Be­gei­ster­ung für Ja­pan wuß­te. Aber ver­schüt­te­te Milch kann man nun ein­mal nicht wie­der in die Kan­ne zu­rück­gie­ßen.

    Das liegt jetzt ein halbes Men­schen­al­ter zu­rück. Viel zu schnell sind die Jah­re ver­gan­gen. Jung ist er nicht mehr, son­dern in den be­sten Jah­ren. Schön ist er auch nicht mehr, eher gut aus­se­hend - f&uunl;r sein ­Alter. Man hält ihn für jün­ger, als er wirk­lich ist, denn sein ehe­mals ka­sta­nien­brau­nes Haupt­haar ist mit der Zeit nur dunk­ler ge­wor­den, und ob­wohl ihn das Le­ben ei­ni­ges ge­lehrt hat, war es doch mei­stens so freund­lich, auf eine Mit­schrift mit schar­fem Grif­fel in sei­nem Ge­sicht zu ver­zich­ten. Nur sein Bart, der vor zehn Jah­ren noch fuchs­rot auf sei­nen Wan­gen brann­te, ver­rät die ver­stri­che­ne Zeit: er hat sich vom Fuchs- zum Dachs­fell ge­wan­delt.

    Die Nachfolge seines Va­ters hat er aus­ge­schla­gen und ist nicht Arzt ge­wor­den. Er be­sitzt zwar hei­len­de Hän­de, aber er kann nur die hei­len, die er liebt, und das ist für ei­nen Arzt zu we­nig. Klug ist er im­mer noch, wenn er auch im­­mer noch da­zu neigt, die­sel­ben Dumm­hei­ten zu ma­chen wie frü­her. Man­ches än­dert sich eben nicht.

    Dieses aber weiß er: Daß er für das, was ihm einst im Aus­tausch für sei­ne ei­ge­ne Ju­gend und Schön­heit ge­ge­ben wor­den wä­re, jetzt wür­de be­zah­len müs­sen. Das ist schon in Ord­nung, denn für die Ju­gend ist es bil­lig und voll von Freu­den, das Al­ter aber zahlt mit Geld und Tor­heit. Er be­nutzt zwar im­mer noch nicht das be­wuß­te un­wi­der­steh­li­che Par­füm, aber er ist nicht mehr so arm, wie er es in sei­ner Ju­gend war, und hat kei­ne an­de­ren La­ster, die sein Ta­schen­geld auf­zeh­ren wür­den.

    Ach ja: Er hat nach langer Zeit und et­li­chen kläg­li­chen Fehl­schlä­gen ei­ne duf­ten­de, ge­lieb­te und lie­ben­de Frau ge­fun­den, die ge­gen den Wi­der­stand ih­rer bei­der Fa­mi­lien in gu­ten und schlech­ten Zei­ten zu ihm ge­hal­ten hat, die ihm drei klu­ge und schö­ne Töch­ter schenk­te, die ihn end­lich auch lehr­te, wie gut es ist, wei­nen zu kön­nen, und daß eine Zu­rück­wei­sung manch­mal auch ein Ver­spre­chen sein kann.

    Der zermürbende All­tag hat das Feu­er in ih­nen zu ei­ner lei­sen Glut da­hin­schwin­den las­sen, aber wenn sie sich - was im­mer sel­te­ner ge­schieht - in sei­ne Ar­me schmiegt und sei­ne Küs­se er­wi­dert, wird ihm im­mer noch schwind­lig, und sein Ho­sen­latz wölbt sich. Ge­bla­sen hat sie ihm al­ler­dings nie­mals.

    Manchmal träumt er von einer Rot­haa­ri­gen, die ihm das ver­schmäh­te Ge­schenk je­ner lau­en Som­mer­nacht noch ein­mal an­bie­tet.

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    All dies kann der hin­rei­ßen­de Rot­schopf, der ihm in dem halb ab­ge­dun­kel­ten Zim­mer ei­nes ver­schwie­ge­nen Hau­ses ent­ge­gen­tritt, nicht wis­sen. Er müß­te es ihr sa­gen. Aber wie wir den dum­men, klu­gen, al­ten jun­gen Mann ken­nen, wird er wohl wie­der schwei­gen.

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